Dienstag, 22. November 2011

Eine neue Identität

Jetzt, wo ich quasi den körperlichen Teil meiner Rückschulung bewältigt habe, merke ich, dass der Kopf noch nach kommen muss. In der Rückschulung muss man erstmal in seiner neuen Identität ankommen. Klar, es ist die eigene. Doch sie ist immer noch neu und voller Überraschungen. Denn viele Jahre, oder wie in meinem Fall Jahrzehnte, war sie vor mir versteckt.

Meiner Meinung nach ist für die Rückschulung am wichtigsten, dass man eine innere Sicherheit zu dem Thema Linkshändigkeit gewinnt. Das heißt, sich selbst vertrauen, dass man wirklich Linkshänder ist, obwohl die Umwelt einen seit Jahren oder Jahrzehnten anders sieht. Und es heißt auch, diese Tatsache zu akzeptieren. Dazu gehören auch die dummen Sprüche, die man sich dann gelegentlich über Linkshänder anhören darf . Es ist auch ein komisches Gefühl, plötzlich von der Umwelt anders wahrgenommen zu werden. Als Minderheit. Eventuell sogar bemitleidet. Die Arme MUSS mit links schreiben. Innerlich freu ich mich ja, denn ich DARF endlich mit links schreiben.

Trotzdem. Es ändert sich die Sicht auf die Welt, da ich Dinge plötzlich anders wahrnehme, als ich sie mit rechts hantierend wahrgenommen habe. Egal was ich anpacke, ich fange von der anderen Seite an. Sonst funktioniert es nicht. Dadurch wirkt die Umwelt in meine Augen oft anders. Ebenso hat sich meine Sicht auf mich selbst geändert. Ich lerne gerade, mich als Linkshänderin zu sehen. Erst jetzt, wo ich selbstverständlich mit links hantiere, fällt mir bewusst auf, dass ich alles anders herum mache, als die meisten anderen Menschen. Manchmal frage ich mich, ob mich meine Umwelt bewusst so wahrnimmt, oder ob den meisten Menschen Linkshändigkeit, mit Ausnahme beim Schreiben nicht auffällt. Vieles, was ich schon immer mit links gemacht habe und das ist in meinem Fall gar nicht so wenig, wird mir jetzt bewusster. Früher empfand ich einige Dinge nur als skurril, denn nicht alle Handlungen sind einem ja als Händigkeits abhängig bewusst. Vieles hat ja auf den ersten und auch den zweiten Blick nichts mit dem Handgebrauch zu tun. Jetzt wird mir klar, dass ich nie skurril war, sondern ganz normal für eine Linkshänderin. Es ist interessant so etwas festzustellen und zu merken, wie ein Bild, dass man jahrelang von sich selbst hatte und dass immer schräg hing, ohne dass man es selbst merke, plötzlich gerade gerückt wird und dadurch einen ganz anderen Ausdruck bekommt. Mit diesem Ausdruck freunde ich mich jeden Tag aufs Neue an und es wird noch einige Zeit brauchen, bis mir wirklich klar sein wird, dass es mein Bild ist und mein Ausdruck. Dass ich das bin.

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