Dienstag, 29. November 2011

Retrospektive

Etwas, dass wahrscheinlich bei jedem vorkommt, der seine Händigkeit zurück schult, sind plötzliche Erinnerungen an Gefühle, Situation und Umstände aus der Zeit der Umschulung auf rechts. Solche Retrospektiven kommen mehr oder weniger häufig vor und begleiten meine Rückschulung permanent. Die Erinnerungen, die ich an meine Kindheit habe, erscheinen dadurch in einem ganz anderen Licht. Viele Dinge, die passiert sind, bekommen plötzlich eine neue Bedeutung. Dinge, die zu mir gesagt wurden, Dinge, die ich getan habe, Gefühle und Erlebnisse, die ich hatte. Vieles davon hatte mich verwirrt, einiges verängstigt und anderes gedemütigt. Doch durch die, wenn auch nur fragmentarische Rückkehr meiner Erinnerungen, weiß ich wieder, warum ich viele Dinge nie konnte oder mich häufig ungeschickt angestellt habe. Jetzt weiß ich auch wieder, warum ich so oft heimlich mit links schreiben geübt habe. Jetzt weiß ich wieder, warum ich immer traurig wurde, wenn ich andere mit links schreiben gesehen habe.

Oft freue ich mich, dass die Erinnerung, wenn auch oft nur als Fetzen zu mir kommt. Jeder Fetzen ist ein Stein eines Mosaiks, dass ich nun Stein um Stein langsam zusammensetzen kann. Ein großer Teil fehlt immer noch, doch es ist schon sehr viel zu erkennen. Vor allem, dass mit sanftem aber steten Druck gegen meine Linkshändigkeit und damit gegen meine Persönlichkeit, gegen mich gearbeitet wurde. Ich möchte mich erinnern. Ich möchte das Gesamtbild meiner Vergangenheit erkennen. Aber die Erinnerungsfetzen machen mich auch traurig. Ich trauere mit dem Kind, dass ich einmal war und dass damals in eine große Verwirrung gestürzt wurde. Es musste lernen, gegen die eigene Natur zu arbeiten. Es lernte dabei auch, sich selbst nicht mehr vertrauen zu können. Doch mit jedem Mosaikstein kommt ein Teil des Selbstvertrauens zurück. Und ich kann zu mir sagen: "Siehst du! Du liegst DOCH richtig!"

Dienstag, 22. November 2011

Eine neue Identität

Jetzt, wo ich quasi den körperlichen Teil meiner Rückschulung bewältigt habe, merke ich, dass der Kopf noch nach kommen muss. In der Rückschulung muss man erstmal in seiner neuen Identität ankommen. Klar, es ist die eigene. Doch sie ist immer noch neu und voller Überraschungen. Denn viele Jahre, oder wie in meinem Fall Jahrzehnte, war sie vor mir versteckt.

Meiner Meinung nach ist für die Rückschulung am wichtigsten, dass man eine innere Sicherheit zu dem Thema Linkshändigkeit gewinnt. Das heißt, sich selbst vertrauen, dass man wirklich Linkshänder ist, obwohl die Umwelt einen seit Jahren oder Jahrzehnten anders sieht. Und es heißt auch, diese Tatsache zu akzeptieren. Dazu gehören auch die dummen Sprüche, die man sich dann gelegentlich über Linkshänder anhören darf . Es ist auch ein komisches Gefühl, plötzlich von der Umwelt anders wahrgenommen zu werden. Als Minderheit. Eventuell sogar bemitleidet. Die Arme MUSS mit links schreiben. Innerlich freu ich mich ja, denn ich DARF endlich mit links schreiben.

Trotzdem. Es ändert sich die Sicht auf die Welt, da ich Dinge plötzlich anders wahrnehme, als ich sie mit rechts hantierend wahrgenommen habe. Egal was ich anpacke, ich fange von der anderen Seite an. Sonst funktioniert es nicht. Dadurch wirkt die Umwelt in meine Augen oft anders. Ebenso hat sich meine Sicht auf mich selbst geändert. Ich lerne gerade, mich als Linkshänderin zu sehen. Erst jetzt, wo ich selbstverständlich mit links hantiere, fällt mir bewusst auf, dass ich alles anders herum mache, als die meisten anderen Menschen. Manchmal frage ich mich, ob mich meine Umwelt bewusst so wahrnimmt, oder ob den meisten Menschen Linkshändigkeit, mit Ausnahme beim Schreiben nicht auffällt. Vieles, was ich schon immer mit links gemacht habe und das ist in meinem Fall gar nicht so wenig, wird mir jetzt bewusster. Früher empfand ich einige Dinge nur als skurril, denn nicht alle Handlungen sind einem ja als Händigkeits abhängig bewusst. Vieles hat ja auf den ersten und auch den zweiten Blick nichts mit dem Handgebrauch zu tun. Jetzt wird mir klar, dass ich nie skurril war, sondern ganz normal für eine Linkshänderin. Es ist interessant so etwas festzustellen und zu merken, wie ein Bild, dass man jahrelang von sich selbst hatte und dass immer schräg hing, ohne dass man es selbst merke, plötzlich gerade gerückt wird und dadurch einen ganz anderen Ausdruck bekommt. Mit diesem Ausdruck freunde ich mich jeden Tag aufs Neue an und es wird noch einige Zeit brauchen, bis mir wirklich klar sein wird, dass es mein Bild ist und mein Ausdruck. Dass ich das bin.

Sonntag, 20. November 2011

Der linke Fuß

In der Vergangenheit hätte es immer wieder Anlass für mich gegeben, über meine Händigkeit nachzudenken. Immer dann, wenn wieder offensichtlich wurde, dass ich Linksfüßer bin. Mich hatte das aber nach dem ersten Mal, als ich es im Sportunterricht beim Fußballspielen feststellte, nicht weiter gewundert. Damals war ich 13 Jahre alt. Ich freute mich diebisch, dass ich auch mal wie die anderen Linkshänder sein durfte. Auch beim Gebrauch der Startblöcke für den Sprint war ich eine von den beiden in der Klasse, die den rechten Fuß vorne hatten. Alle fanden das komisch, weil sie mich als Rechtshänderin sahen. Ich nicht, mir war damals noch klar, dass ich Linkshänderin bin.

Später, als ich diese Tatsache verdrängt hatte, war jedoch meine Linksfüßigkeit etwas ganz normales für mich. Andere wunderten sich jedoch immer wieder, dass ich auf dem Snowboard oder auf dem Skateboard den rechten Fuß vorne hatte.

Füßigkeit und Händigkeit hängen nicht zwangsläufig miteinander zusammen. Man findet dazu so viele verschiedene Meinungen, wie man Personen befragt. Offizielle Studien, die man zu dem Thema findet, sind meist einige Jahrzehnte alt und ich bezweifle, dass in ihnen eine umgeschulte Händigkeit berücksichtigt wurde und somit auf eine tatsächlicher Korrelation zwischen Händigkeit und Füßigkeit eingegangen werden konnte. Eigenen Beobachtungen zu Folge gibt es einen Anteil von ca. 20% Linksfüßern. Ein Teil davon verhält sich auf den ersten Blick rechtshändig. Alle von mir beobachteten Linkshänder hingegen sind generell Linksfüßer, einzelne davon spielen aber beim Fußball mir rechts. Wahrscheinlich haben sie sich dieses Bewegungsmuster in der Kindheit von der rechtsfüßigen Mehrheit abgeschaut.
Meine Hypothese dazu ist, dass es eine 80:20 Verteilung gibt. Das ist grundsätzlich ein häufiges Verteilungsmuster. Dementsprechend postuliere ich, dass es 20% Linksfüßer gibt, von denen 20% Rechtshänder sind und vice versa.

Woran erkennt man einen Linksfüßer? Hierzu findet man leider bei einigen Autoren eindeutig falsche Angaben. Nach meiner Erfahrung passende Angaben dazu hat J.B. Sattler hat in ihrem Buch "Der Knoten im Gehirn" gemacht.
Der Linksfüßer hat das rechte Bein als Standbein und das linke als Aktionsbein. Die Aktion kann sein Schwung zu holen, einen Ball zu schießen, auf eine Stufe zu steigen oder einfach den ersten Schritt zu tun. Das führt dazu, dass der Linksfüßer beim Startblock, beim Skateboard/Snowboard/Surfbrett den rechten Fuß vorne hat, um mit den linken Fuß zu lenken bzw. sich abzustoßen und Schwung zu holen. Es wird mit dem rechten Fuß abgesprungen, um mit dem linken Fuß möglichst weit nach vorne/oben zu schwingen. Bei kreisförmigen Bewegungen, z.B. beim Schlittschuhlaufen auf einer Eisbahn, bevorzugt der Linksfüßer die Bewegung im Uhrzeigersinn. Ob die bevorzugte Drehrichtung am Platz, z.B. bei Pirouetten auch im Zusammenhang mit der Füßigkeit steht, weiß ich nicht. Hier spielen meiner Meinung nach noch mehr Faktoren eine Rolle, wie die Bevorzugung eines Auges und die Fähigkeit auf einem bestimmten Bein das Gleichgewicht zu halten. Bei mir ist dafür das Standbein prädestiniert, also drehe ich bei Pirouetten rechts herum.

Freitag, 18. November 2011

Das Aha-Erlebnis

Darüber, welche Hand man für welche Tätigkeiten benutzt, macht man sich gewöhnlich keine Gedanken. Das wäre auch ineffektiv, da ja jede Handlung geplant werden müsste. Dementsprechend geschieht alles aus einer gewissen Routine heraus. Bei mir hieß diese Routine mir rechts schreiben und auch vieles andere machen, aber mit links Kartoffeln schälen, die Maus, die Bohrmaschine, den Schraubenzieher benutzen und ebenfalls vieles andere mehr. So dachte ich, dass ich beidhändig bin und verschwendete keinen weiteren Gedanken an dieses Thema . Klappte ja ganz gut, außer dass ich lieber auf dem Rechner schrieb, als mit der Hand. Das war mir schon immer zu anstrengend...
Das änderte sich jedoch, als ich Ende letzten Jahres an einem fremden Rechner saß und sofort merkte, dass die Maus links war. Meine Freude darüber teilte ich sofort dem Besitzer des Rechners mit. "Super, du hast deine Maus ja auch links!" "Na klar, ich bin Linkshänder!" Ich fühlte mich wie vom Blitz getroffen. Den ganzen Abend hallte diese Aussage in mir nach. "Ich bin Linkshänder!" Ich auch! Dachte ich sogleich. Ich auch? Fragte ich mich danach. Merkwürdig eigentlich. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis fanden sich einige Linkshänder und ich hatte mir in der Vergangenheit bereits öfters die Maus mit einem Linkshänder geteilt. Doch diesmal war es anders. Mit meiner linken Hand auf der Maus hörte ich diese Worte. Dadurch wurde eine Verbindung in meinem Gehirn geknüpft, die mein Leben plötzlich auf den Kopf stellte. Oder besser gesagt von rechts auf links krempelte. War ich wirklich beidhändig? War da nicht mal etwas in meiner Kindheit? Ich war mir nicht sicher, aber der Satz, den ich an dem einen Tag gehört hatte traf mich mitten ins Herz und ging einfach nicht mehr aus meinem Kopf. Ich bin Linkshänder. Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen oder lieber laut losheulen wollte. Zumindest verwirrte es mich gehörig, obwohl, so paradox, wie das klingt, auch mit einem Schlag eine große Klarheit da war. Ich wusste, das es stimmt. Ich war Linkshänderin, doch was hatte das nun für eine Bedeutung für mich, für mein Leben? Ja, für mein Handeln, im wahrsten Sinne des Wortes? Da stand ich jetzt plötzlich in einer neuen Lebenssituation. Ganz klar und doch verwirrt. Froh und doch bekümmert. Voller Antworten und voll neuer Fragen. 

"I´ve got one hand in my pocket and the other one is giving a high five!"(Alanis Morissette)

Montag, 14. November 2011

Rückgeschult!

Dieses Hochgefühl ist unglaublich. Du kennst das bestimmt auch, wenn du dich ganz bei dir fühlst und alles im Fluss ist. Wenn du merkst, ja, das bin ich! Ein modernes Wort dafür ist authentisch sein. Eigentlich mag ich es nicht, denn es hat sich in den letzten Jahren sehr abgegriffen. Doch es trifft es immer noch auf den Punkt. Was es heißt bei sich zu sein, fällt einem meist dann besonders auf, wenn man mal eine Zeit neben sich gestanden hat, vielleicht ohne es zu merken und dann wieder zu sich kommt. Das kennt eigentlich jeder. Wenn du damit noch nichts anfangen kannst, dann stell dir einfach vor, du warst lange nicht zu Hause und kommst dann heim. Alles ist bekannt, du hast deine Sachen um dich, du fühlst dich einfach wohl. Das kannst du bestimmt nachvollziehen.
Dieses Gefühl habe ich immer, wenn ich etwas mit links mache, was ich früher mit rechts machen musste. Besonders beim Schreiben geht es mir so. Auch wenn du sagen würdest, dass meine Schrift furchtbar ist und wenn mir noch oft die Muskeln schmerzen. Links bin ich zu Hause. Endlich.

Es war ein langer Weg für mich nach Hause. Denn vor weit mehr als dreißig Jahren wurde ich in vielen Dingen umgeschult, so dass ich als Teenager irgendwann anfing, mich als Beidhänder zu sehen. Vor fast einem dreiviertel Jahr habe ich angefangen mich beim Schreiben auf die linke Hand rück zu schulen. Diese Rückschulung betrachte ich mittlerweile als erfolgreich vollbracht. Meine Schrift ist leserlich, sieht erwachsen und individuell aus und sie fließt mir schnell und locker aus der Hand. Vor allem aber liebe ich es mit links zu schreiben. Ich könnte ganze Bücher füllen. Viele andere Dinge des Alltags habe ich entweder seit eh und je mit links erledigt oder bin einfach von einem Tag auf den anderen auf links umgestiegen. Das fiel mir sehr leicht. Meistens war es sogar so, dass ich es mit links auf Anhieb besser konnte, als mit rechts. In solchen Fällen wundere ich mich immer noch, dass ich als Mensch, der sich immer als Beidhänder gesehen hat, nicht schon früher mal auf die Idee gekommen bin, die linke Hand für die eine oder andere Tätigkeit zu benutzen. Der erzieherische und kulturelle Druck ist scheinbar sehr groß. Nicht zu unterschätzen ist auch die Macht der Gewohnheit. Auch die hat sich in den letzten Monaten bei mir geändert. Ganz von allein. Für mich ist es jetzt Gewohnheit, alles mit links zu erledigen.

Ich bin Rückgeschult!

Einleitung

Wie viele von euch, bin ich Linkshänder. Das ist erstmal nichts
Besonderes oder doch? Schätzungsweise 10-15% der deutschen Bevölkerung sind Linkshänder. Damit gehört man eigentlich zu einer Minderheit. Allerdings ist dabei noch nicht berücksichtigt worden, dass viele Linkshänder sich nicht als solche bezeichnen, da sie als Kinder auf rechts umgelernt wurden und zwar nicht nur beim Schreiben. Viele von diesen umgelernten Menschen sagen, dass sie eigentlich Linkshänder sind, aber jetzt halt Rechtshänder. Andere bezeichnen sich als Beidhänder, weil sie vieles mit beiden Händen gleich gut können oder vieles mit links machen, außer die Sachen, die ihnen in der Kindheit mit rechts anerzogen wurden. Und dann soll es auch noch Linkshänder geben, die so früh und so gründlich umerzogen worden sind, dass sie alles wie Rechtshänder machen. Wie viele Menschen das letztendlich betrifft ist nicht bekannt. Manche vermuten, dass es eigentlich 30-50% Linkshänder geben müsste. Meiner Meinung nach ist die Zahl nicht so hoch, denn ich glaube nicht, dass sich die Mehrzahl umschulen ließe, das ist eher die Minderheit.
Ich gehöre auch zu dieser Gruppe der Umgeschulten. In diesem Blog möchte
ich euch meine Geschichte erzählen. Vielleicht gibt es ja dem ein oder anderen von euch, der auch umgeschult wurde, etwas Mut bei oder zur Rückschulung oder inspiriert eingefleischte Beidhänder mal darüber nachzudenken, ob sie wirklich beidhändig sind. Was mich besonders freuen würde, wenn ich mit meiner Geschichte ein Bewusstsein dafür schaffen kann, wie bedeutend eine Umschulung der Händigkeit für einen Menschen sein kann, in der Hoffnung, dass Eltern darauf achten ihre Kinder nicht versehentlich umzuerziehen.