Sonntag, 10. Juni 2012

Bewusstwerdung


Seit ca. 1 1/2 Jahren lebe ich nun meine Linkshändigkeit ganz aus und seit dem lässt mich das Thema einfach nicht los. Es gibt immer mal wieder Phasen, in denen ich viel Anderes zu tun habe und abgelenkt bin. Das tut mir meist sehr gut, denn die Gedanken zu Linkshändigkeit drehen sich ja häufig nur im Kreis. Doch dann komme ich auch wieder zurück zu den Phasen, in denen ich an nichts Anderes denken kann.

Meistens beschäftigen mich die Gedanken und die Gefühle, die sich darum drehen in der eigenen Linkshändigkeit, im eigenen Sosein anzukommen. Es ist für mich manchmal, als würde mir ein Stück Vergangenheit fehlen, dass ich wiedererlangen muss, um ganz zu werden. Es ist meine linkshändige Vergangenheit. Die habe ich zweifelsohne nur muss ich mir ihrer noch Stück für Stück bewusst werden. Das gelingt mir jeden Tag ein Stück mehr. Das tut gut, denn dadurch fühlt es sich nicht so an, als wäre meine Linkshändigkeit eine neue Entdeckung von mir. Nein, im Gegenteil, ich bin schon immer Linkshänderin und habe auch deutliche Erinnerungen daran. Ein wenig an meine Umschulung durch Mutter und Umfeld. Mehr jedoch an die vielen Dinge, die sich mir quer stellten. Zum Beispiel meine Melodica, die ich als Fünf- oder Sechsjährige bekam. Ein äußerst rechtshändiges Tasteninstrument. Nicht nur, dass ich versucht habe, sie mit links zu spielen, was mir trotz der dann etwas sperrigen Tastenmechanik recht gut gelang. Ich versuchte sogar, sie komplett auf Linkshandbetrieb umzubauen. Das funktionierte leider nicht. Mein Akkordeon, dass ich dann mit acht bekam ließ sich dann wunderbar auf den Kopf stellen. Leider waren dann sämtliche Tasten in der falschen Reihenfolge angeordnet...
Damals wunderte ich mich nur, warum ich immer auf solche Ideen kam und warum sich mir immer wieder Dinge als unpraktisch herausstellten, oder ich so vieles grundsätzlich andersherum machte, als die Anderen. Heut ist mir bewusst warum.
Und diese Erinnerungen sind heilsam. Sie machen mir meine Vergangenheit als Linkshänderin bewusst. Sie führen mich zurück zu meiner linkshändigen Identität.



Freitag, 20. Januar 2012

Chronik einer Umschulung

Ich bin Linkshänderin. Mein Mutter sah das leider anders. Auch heute
noch passt ihr das nicht. Nur sie weiß, warum und lässt es mich auch nicht wissen. Meine Kindheit war geprägt von Dingen, die ich falsch machte oder bei denen ich mich ungeschickt anstellte. Das fing an mit dem Handgeben. Viele kennen das. Kleine Kinder wechseln oft die Hand und probieren sich aus. Dabei geben sie auch manchmal die linke und somit nach gesellschaftlicher Konvention falsche Hand. Fast jedes Kind kennt den Spruch "gib das feine Händchen". Als linkshändiges Kind hört man ihn jedoch besonders häufig, denn die Hand, die man spontan nach etwas ausstreckt ist nun mal die linke. Ich verstand nicht, warum das so sein muss. Warum durfte ich nicht meine linke Hand zur Begrüßung geben? Warum ist die rechte Hand fein und die linke nicht? Als Erklärung erhielt ich das bei meiner Mutter allgegenwärtige "das macht man so". Ich bin nicht man. Diese Auflehnung begann bei mir nicht erst in der Pubertät. Schon früh, im Kindergartenalter, habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als endlich erwachsen zu werden. Ich wollte die Dinge so angehen, wie ich es für richtig hielt. Warum in den Augen meiner Mutter immer alles falsch war, was ich machte, konnte ich nicht verstehen. Ich wusste nichts über Links- und Rechtshänder, auch wenn ich öfters hörte, dass ich keine Linkshänderin sei. Eine Fehlinformation. Der Löffel gehört in die rechte Hand, du bist doch kein Linkshänder. Die Gabel gehört in die rechte Hand, du bist doch kein Linkshänder. So wurde mir tagtäglich das Gehirn gewaschen und absolut darauf bestanden, dass alle Besteckteile mit rechts benutzt wurden. Auch das Messer beim Essen mit Messer und Gabel. Dabei hatte ich mich gerade gefreut. Da die rechte Hand ja schon mit der Gabel besetzt war, konnte das Messer ja eigentlich nur in die linke. Doch falsch gedacht. Aber hier machte ich es mir bald zunutze. Ich aß einfach immer mit Messer und Gabel. Auch wenn das Messer ungenutzt in der rechten Hand lag oder sogar am Tellerrand. Die Gabel war links. Ein kleiner Erfolg in einer Welt, in der ich nicht ich sein durfte. Genau wie die Gelegenheiten, zu denen ich mein feines Händchen geben durfte. Nämlich immer dann, wenn ich eine Tante begrüßte, die gerade ihre Rechte Hand im Kuchenteig oder Ähnlichem vergraben hatte. Dann wurde mir halt die Linke entgegengestreckt. Die nahm ich natürlich auch mit links und freute mich diebisch. Wieder einmal der mütterlichen Konvention entkommen.
Richtig schlimm wurde es dann, als ich scharfe Messer benutzen durfte und sollte. Das Gemüse widersetze sich mir. Es ging einfach nicht. Dafür gab es natürlich Schelte. "Nichts kannst du richtig machen. Da kann ich es besser gleich selber machen!"
Genauso viel Unverständnis erntete ich, als es in der Schule zu so furchtbaren Tätigkeiten, wie dem Häkeln, dem Stricken und dem Sticken kam. Mein Topflappen war mit Abstand der Hässlichste. Sogar schlimmer als die Modelle der Jungs. Dabei gestaltete sich das Häkeln zuerst als prima Sache. Ich hatte den linken Arm gebrochen. Dadurch war ich im Halten des Häkelgutes und der Fadenführung eingeschränkt. Die Lehrerin und auch meine Mutter erlaubten mir, mich zu behelfen, indem ich mit links häkelte, da ich die Nadel mit der eingegipsten Hand halten konnte! Das lief richtig gut. Dann kam der Gips ab und beide bestanden darauf, dass ich nun wieder mit rechts häkelte. Kann man das verstehen? Warum ich mich nicht durchsetzen konnte, weiß ich nicht. Grundsätzlich wollte ich ja immer alles richtig machen.
Und dann gab es ja auch noch die Geschichten von meiner Tante. Meine Tante ist, genau wie ich, Linkshänderin. Sie wurde allerdings nicht von ihren Eltern unter Druck gesetzt, obwohl Linkshändigkeit damals in den Dreißigern als Makel galt. Dafür litt sie in der Schule. Bei jedem Versuch mit links zu schreiben, bekam sie Schläge bis die Finger bluteten. Ihre Schilderungen waren sehr plakativ. Jedes Mal, wenn ich vor ihren Augen einen Stift in die Hand nahm, erzählte sie eine ihrer Gruselgeschichten. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich damals den Stift in die Linke nahm. Doch warum sonst, sollte sie sich ständig zu diesen Schilderungen animiert gesehen haben. Als kleines Kind überlegte ich mir damals genau, ob ich es wirklich darauf anlegen wollte. Ob ich deshalb mit rechts anfing zu malen weiß ich nicht. Dass ich mit rechts anfing zu schreiben hatte sicherlich damit etwas zu tun.
So gerne würde ich wissen, warum ich mit rechts malte. Doch da halten sich alle bedeckt. Besonders meine Mutter. Mein Vater war damals sehr wenig zu Hause. Er kann sich an nichts erinnern und das glaube ich ihm tatsächlich. Doch meine Mutter windet sich auf merkwürdige Art und Weise. Aber sie gibt nichts preis. So bleiben mir nur Spekulationen. Vielleicht war das Malen mit links auch ein Grund für einen meiner vielen Aufenthalte hinter der verschlossenen Kellertür. Dort musste ich oft genug hin, wenn ich nicht essen wollte oder meine Eltern wegen anderer Dinge erzieherisch am Ende waren. Oder war der Bruch meines linken Arms mit drei Jahren der Auslöser dafür, dass ich mit rechts malte, da ich es ja wochenlang nicht mit links konnte? Möglicherweise waren auch die Kindergärtnerinnen daran beteiligt. Anfang der Siebziger schulten sie Linkshänder noch häufig im Kindergarten um, damit man es in der Schule leichter hätte. So war das Ergebnis: mit links durfte ich nicht, mit rechts konnte ich oft nicht.
Das Schreiben war in der Grundschule meine größter Herausforderung. Es
hat mich wirklich angestrengt es zu lernen und meine Schrift stand ständig in der Kritik meiner Eltern und meiner Lehrerin. Auch wenn mein Vater im Nachhinein meint, dass ich sofort mit rechts ganz leicht drauflos geschrieben hätte. Er bekam ja nicht mit, wie meine Mutter mich täglich mit den Schreiblernübungen triezte. Ich wollte nicht schreiben üben. Das war für mich eine Qual. Ansonsten war ich eine Musterschülerin und Klassenbeste. Doch schreiben ging mir nicht von der Hand und ich hatte keine Lust es zu üben, obwohl ich es gerne können wollte. Schon der Gedanke an eine Reihe Spazierstöcke mit rotem Wachsmalstift im Schreiblernheft, trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Aber meine Mutter insistierte. Und sie war gnadenlos. Wenn die Stöckchen nicht schön genug waren, musste ich noch eine Seite füllen. Übung macht den Meister! Es war, als hätte ich eine Blockade im dem Kopf, der sonst immer so wunderbar funktionierte. Und es sollte noch schlimmer kommen. Nachdem die Phase mit den Wachsmalstiften abgeschlossen war, kam irgendwann das neue Objekt der Qual. Der Füller. Die Federn waren immer zu weich. Ständig verbog ich sie, so fest drückte ich auf. Klar gab das Ärger und viele neue Füller.
Dann kam der Zeitpunkt, zu dem ich das erste Mal in meinem Leben einen Menschen mit links schreiben sah. Das hat mich zutiefst berührt. Zu Hause musste ich das sofort ausprobieren. Es fühlte sich fantastisch an. Leider wurde ich erwischt. Das fühlte sich dann nicht mehr so gut an. Es gab Hohn, Spott, Unverständnis und Schelte. Oft hab ich geübt, oft wurde ich erwischt. Oft gab es Ärger. Meine Mutter schaute mir ja auch ständig bei den Hausaufgaben über die Schulter. Und wenn ich mal allein war und meine Hausaufgaben mit links schrieb, sah sie es sofort. Die Schrift war ja anders. Irgendwann bildete ich mir dann ein, dass man mit links nur in der Hakenhaltung schreiben darf, weil sonst die Schrift anders aussieht, als bei Rechtshändern. Keine Ahnung wie ich auf diesen Gedanken kam. Die Hakenhaltung bekam ich jedenfalls nicht hin. Statt dessen schrieb ich dann aus Spaß mit rechts und links gleichzeitig. Mit rechts richtig herum und mit links in Spiegelschrift. Das war ein Spaß. Vor allem, weil meine Klassenkameradinnen das nicht konnten. Dafür konnten sie ja alle ganz toll stricken und häkeln. Endlich konnte ich auch mal was mit meinen Händen besser als sie.
Auf dem Gymnasium gab ich dann auf. Mir fehlte mit links einfach die
Übung und ich war zu langsam. Also schrieb ich fast nur noch mir rechts. Nur ab und an schrieb ich noch zu Hause für mich alleine, wenn meine Mutter in der Küche oder im Garten beschäftigt war, mit links. Ich machte mir auch immer weniger Gedanken darüber, was ich wie machte. Es war mittlerweile ja eingeübt. Auch wenn ich in vielen Dingen noch ungeschickt war und immer sein würde. Aber man muss ja nicht alles können, sagte ich mir.
Ein Highlight während der Schulzeit war der Sportunterricht, wenn man mal vom Werfen absieht. Das machte ich ja mit rechts, da mein Vater es mir so beigebracht hatte. Außer beim Basketball. Da warf ich die meisten Körbe mit links. Zudem bin ich wie die meisten Linkshänder auch Linksfüßer. Und das durfte ich im Sportunterricht auch bleiben. Niemand, der etwas daran kritisierte. Endlich durfte ich mal sein, wie alle anderen Linkshänder auch! Das stürzte mich jedoch gleichzeitig in eine emotionale Krise, die durch meine Pubertät noch verschlimmert wurde. Ich konnte nicht mehr damit umgehen Linkshänder zu sein und es nicht sein zu dürfen. Ich verstand es nicht und es tat mir nicht gut. Also blieb mir nur noch eins. Verdrängung.
Zuerst verdrängte ich meine Linkshändigkeit vollkommen. Als Studentin
dann, sah ich mich als Beidhänderin. An meine Linkshändigkeit konnte ich mich da schon nicht mehr erinnern. Doch fiel mir immer auf, wie viel ich mit links hantierte. Das ließ sich nicht verleugnen. Auch die Computermaus konnte ich besser mit links bedienen. Zwar benutzte ich sie die ersten Jahre aus der Konvention heraus mit rechts, vor allem, da ich mir die Maus immer mit Rechtshändern teilen musste. Doch meine erste eigene Maus wurde direkt von mir auf links programmiert. Gewundert habe ich mich darüber nicht, denn ich war ja meiner Meinung nach Beidhänderin. Dass der Maus eine Schlüsselrolle bei der Wiederentdeckung meiner Linkshändigkeit zukommen sollte, wusste ich damals noch nicht.
Mit der Hand geschrieben habe ich nach der Schulzeit kaum noch. Nur noch kleinere Notizen. Da ich mit zehn Fingern tippen kann, hab ich alle meine Uniprotokolle und später alles für die Arbeit auf dem Rechner getippt. Auch mein Tagebuch.
Doch in meinem Beruf kann man das Handschriftliche nicht umgehen. Und so habe ich letztendlich dann doch noch mit links schreiben gelernt. Doch dafür musste ich mir erstmal eingestehen, dass ich nicht Beidhänderin, sondern Linkshänderin bin.
Mittlerweile schreibe ich nur noch mit links. Es ist schön, offen meine
Linkshändigkeit leben zu dürfen. Aber meiner Mutter ist es ein Dorn im Auge. Weiterhin.