Sonntag, 10. Juni 2012

Bewusstwerdung


Seit ca. 1 1/2 Jahren lebe ich nun meine Linkshändigkeit ganz aus und seit dem lässt mich das Thema einfach nicht los. Es gibt immer mal wieder Phasen, in denen ich viel Anderes zu tun habe und abgelenkt bin. Das tut mir meist sehr gut, denn die Gedanken zu Linkshändigkeit drehen sich ja häufig nur im Kreis. Doch dann komme ich auch wieder zurück zu den Phasen, in denen ich an nichts Anderes denken kann.

Meistens beschäftigen mich die Gedanken und die Gefühle, die sich darum drehen in der eigenen Linkshändigkeit, im eigenen Sosein anzukommen. Es ist für mich manchmal, als würde mir ein Stück Vergangenheit fehlen, dass ich wiedererlangen muss, um ganz zu werden. Es ist meine linkshändige Vergangenheit. Die habe ich zweifelsohne nur muss ich mir ihrer noch Stück für Stück bewusst werden. Das gelingt mir jeden Tag ein Stück mehr. Das tut gut, denn dadurch fühlt es sich nicht so an, als wäre meine Linkshändigkeit eine neue Entdeckung von mir. Nein, im Gegenteil, ich bin schon immer Linkshänderin und habe auch deutliche Erinnerungen daran. Ein wenig an meine Umschulung durch Mutter und Umfeld. Mehr jedoch an die vielen Dinge, die sich mir quer stellten. Zum Beispiel meine Melodica, die ich als Fünf- oder Sechsjährige bekam. Ein äußerst rechtshändiges Tasteninstrument. Nicht nur, dass ich versucht habe, sie mit links zu spielen, was mir trotz der dann etwas sperrigen Tastenmechanik recht gut gelang. Ich versuchte sogar, sie komplett auf Linkshandbetrieb umzubauen. Das funktionierte leider nicht. Mein Akkordeon, dass ich dann mit acht bekam ließ sich dann wunderbar auf den Kopf stellen. Leider waren dann sämtliche Tasten in der falschen Reihenfolge angeordnet...
Damals wunderte ich mich nur, warum ich immer auf solche Ideen kam und warum sich mir immer wieder Dinge als unpraktisch herausstellten, oder ich so vieles grundsätzlich andersherum machte, als die Anderen. Heut ist mir bewusst warum.
Und diese Erinnerungen sind heilsam. Sie machen mir meine Vergangenheit als Linkshänderin bewusst. Sie führen mich zurück zu meiner linkshändigen Identität.



Freitag, 20. Januar 2012

Chronik einer Umschulung

Ich bin Linkshänderin. Mein Mutter sah das leider anders. Auch heute
noch passt ihr das nicht. Nur sie weiß, warum und lässt es mich auch nicht wissen. Meine Kindheit war geprägt von Dingen, die ich falsch machte oder bei denen ich mich ungeschickt anstellte. Das fing an mit dem Handgeben. Viele kennen das. Kleine Kinder wechseln oft die Hand und probieren sich aus. Dabei geben sie auch manchmal die linke und somit nach gesellschaftlicher Konvention falsche Hand. Fast jedes Kind kennt den Spruch "gib das feine Händchen". Als linkshändiges Kind hört man ihn jedoch besonders häufig, denn die Hand, die man spontan nach etwas ausstreckt ist nun mal die linke. Ich verstand nicht, warum das so sein muss. Warum durfte ich nicht meine linke Hand zur Begrüßung geben? Warum ist die rechte Hand fein und die linke nicht? Als Erklärung erhielt ich das bei meiner Mutter allgegenwärtige "das macht man so". Ich bin nicht man. Diese Auflehnung begann bei mir nicht erst in der Pubertät. Schon früh, im Kindergartenalter, habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als endlich erwachsen zu werden. Ich wollte die Dinge so angehen, wie ich es für richtig hielt. Warum in den Augen meiner Mutter immer alles falsch war, was ich machte, konnte ich nicht verstehen. Ich wusste nichts über Links- und Rechtshänder, auch wenn ich öfters hörte, dass ich keine Linkshänderin sei. Eine Fehlinformation. Der Löffel gehört in die rechte Hand, du bist doch kein Linkshänder. Die Gabel gehört in die rechte Hand, du bist doch kein Linkshänder. So wurde mir tagtäglich das Gehirn gewaschen und absolut darauf bestanden, dass alle Besteckteile mit rechts benutzt wurden. Auch das Messer beim Essen mit Messer und Gabel. Dabei hatte ich mich gerade gefreut. Da die rechte Hand ja schon mit der Gabel besetzt war, konnte das Messer ja eigentlich nur in die linke. Doch falsch gedacht. Aber hier machte ich es mir bald zunutze. Ich aß einfach immer mit Messer und Gabel. Auch wenn das Messer ungenutzt in der rechten Hand lag oder sogar am Tellerrand. Die Gabel war links. Ein kleiner Erfolg in einer Welt, in der ich nicht ich sein durfte. Genau wie die Gelegenheiten, zu denen ich mein feines Händchen geben durfte. Nämlich immer dann, wenn ich eine Tante begrüßte, die gerade ihre Rechte Hand im Kuchenteig oder Ähnlichem vergraben hatte. Dann wurde mir halt die Linke entgegengestreckt. Die nahm ich natürlich auch mit links und freute mich diebisch. Wieder einmal der mütterlichen Konvention entkommen.
Richtig schlimm wurde es dann, als ich scharfe Messer benutzen durfte und sollte. Das Gemüse widersetze sich mir. Es ging einfach nicht. Dafür gab es natürlich Schelte. "Nichts kannst du richtig machen. Da kann ich es besser gleich selber machen!"
Genauso viel Unverständnis erntete ich, als es in der Schule zu so furchtbaren Tätigkeiten, wie dem Häkeln, dem Stricken und dem Sticken kam. Mein Topflappen war mit Abstand der Hässlichste. Sogar schlimmer als die Modelle der Jungs. Dabei gestaltete sich das Häkeln zuerst als prima Sache. Ich hatte den linken Arm gebrochen. Dadurch war ich im Halten des Häkelgutes und der Fadenführung eingeschränkt. Die Lehrerin und auch meine Mutter erlaubten mir, mich zu behelfen, indem ich mit links häkelte, da ich die Nadel mit der eingegipsten Hand halten konnte! Das lief richtig gut. Dann kam der Gips ab und beide bestanden darauf, dass ich nun wieder mit rechts häkelte. Kann man das verstehen? Warum ich mich nicht durchsetzen konnte, weiß ich nicht. Grundsätzlich wollte ich ja immer alles richtig machen.
Und dann gab es ja auch noch die Geschichten von meiner Tante. Meine Tante ist, genau wie ich, Linkshänderin. Sie wurde allerdings nicht von ihren Eltern unter Druck gesetzt, obwohl Linkshändigkeit damals in den Dreißigern als Makel galt. Dafür litt sie in der Schule. Bei jedem Versuch mit links zu schreiben, bekam sie Schläge bis die Finger bluteten. Ihre Schilderungen waren sehr plakativ. Jedes Mal, wenn ich vor ihren Augen einen Stift in die Hand nahm, erzählte sie eine ihrer Gruselgeschichten. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich damals den Stift in die Linke nahm. Doch warum sonst, sollte sie sich ständig zu diesen Schilderungen animiert gesehen haben. Als kleines Kind überlegte ich mir damals genau, ob ich es wirklich darauf anlegen wollte. Ob ich deshalb mit rechts anfing zu malen weiß ich nicht. Dass ich mit rechts anfing zu schreiben hatte sicherlich damit etwas zu tun.
So gerne würde ich wissen, warum ich mit rechts malte. Doch da halten sich alle bedeckt. Besonders meine Mutter. Mein Vater war damals sehr wenig zu Hause. Er kann sich an nichts erinnern und das glaube ich ihm tatsächlich. Doch meine Mutter windet sich auf merkwürdige Art und Weise. Aber sie gibt nichts preis. So bleiben mir nur Spekulationen. Vielleicht war das Malen mit links auch ein Grund für einen meiner vielen Aufenthalte hinter der verschlossenen Kellertür. Dort musste ich oft genug hin, wenn ich nicht essen wollte oder meine Eltern wegen anderer Dinge erzieherisch am Ende waren. Oder war der Bruch meines linken Arms mit drei Jahren der Auslöser dafür, dass ich mit rechts malte, da ich es ja wochenlang nicht mit links konnte? Möglicherweise waren auch die Kindergärtnerinnen daran beteiligt. Anfang der Siebziger schulten sie Linkshänder noch häufig im Kindergarten um, damit man es in der Schule leichter hätte. So war das Ergebnis: mit links durfte ich nicht, mit rechts konnte ich oft nicht.
Das Schreiben war in der Grundschule meine größter Herausforderung. Es
hat mich wirklich angestrengt es zu lernen und meine Schrift stand ständig in der Kritik meiner Eltern und meiner Lehrerin. Auch wenn mein Vater im Nachhinein meint, dass ich sofort mit rechts ganz leicht drauflos geschrieben hätte. Er bekam ja nicht mit, wie meine Mutter mich täglich mit den Schreiblernübungen triezte. Ich wollte nicht schreiben üben. Das war für mich eine Qual. Ansonsten war ich eine Musterschülerin und Klassenbeste. Doch schreiben ging mir nicht von der Hand und ich hatte keine Lust es zu üben, obwohl ich es gerne können wollte. Schon der Gedanke an eine Reihe Spazierstöcke mit rotem Wachsmalstift im Schreiblernheft, trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Aber meine Mutter insistierte. Und sie war gnadenlos. Wenn die Stöckchen nicht schön genug waren, musste ich noch eine Seite füllen. Übung macht den Meister! Es war, als hätte ich eine Blockade im dem Kopf, der sonst immer so wunderbar funktionierte. Und es sollte noch schlimmer kommen. Nachdem die Phase mit den Wachsmalstiften abgeschlossen war, kam irgendwann das neue Objekt der Qual. Der Füller. Die Federn waren immer zu weich. Ständig verbog ich sie, so fest drückte ich auf. Klar gab das Ärger und viele neue Füller.
Dann kam der Zeitpunkt, zu dem ich das erste Mal in meinem Leben einen Menschen mit links schreiben sah. Das hat mich zutiefst berührt. Zu Hause musste ich das sofort ausprobieren. Es fühlte sich fantastisch an. Leider wurde ich erwischt. Das fühlte sich dann nicht mehr so gut an. Es gab Hohn, Spott, Unverständnis und Schelte. Oft hab ich geübt, oft wurde ich erwischt. Oft gab es Ärger. Meine Mutter schaute mir ja auch ständig bei den Hausaufgaben über die Schulter. Und wenn ich mal allein war und meine Hausaufgaben mit links schrieb, sah sie es sofort. Die Schrift war ja anders. Irgendwann bildete ich mir dann ein, dass man mit links nur in der Hakenhaltung schreiben darf, weil sonst die Schrift anders aussieht, als bei Rechtshändern. Keine Ahnung wie ich auf diesen Gedanken kam. Die Hakenhaltung bekam ich jedenfalls nicht hin. Statt dessen schrieb ich dann aus Spaß mit rechts und links gleichzeitig. Mit rechts richtig herum und mit links in Spiegelschrift. Das war ein Spaß. Vor allem, weil meine Klassenkameradinnen das nicht konnten. Dafür konnten sie ja alle ganz toll stricken und häkeln. Endlich konnte ich auch mal was mit meinen Händen besser als sie.
Auf dem Gymnasium gab ich dann auf. Mir fehlte mit links einfach die
Übung und ich war zu langsam. Also schrieb ich fast nur noch mir rechts. Nur ab und an schrieb ich noch zu Hause für mich alleine, wenn meine Mutter in der Küche oder im Garten beschäftigt war, mit links. Ich machte mir auch immer weniger Gedanken darüber, was ich wie machte. Es war mittlerweile ja eingeübt. Auch wenn ich in vielen Dingen noch ungeschickt war und immer sein würde. Aber man muss ja nicht alles können, sagte ich mir.
Ein Highlight während der Schulzeit war der Sportunterricht, wenn man mal vom Werfen absieht. Das machte ich ja mit rechts, da mein Vater es mir so beigebracht hatte. Außer beim Basketball. Da warf ich die meisten Körbe mit links. Zudem bin ich wie die meisten Linkshänder auch Linksfüßer. Und das durfte ich im Sportunterricht auch bleiben. Niemand, der etwas daran kritisierte. Endlich durfte ich mal sein, wie alle anderen Linkshänder auch! Das stürzte mich jedoch gleichzeitig in eine emotionale Krise, die durch meine Pubertät noch verschlimmert wurde. Ich konnte nicht mehr damit umgehen Linkshänder zu sein und es nicht sein zu dürfen. Ich verstand es nicht und es tat mir nicht gut. Also blieb mir nur noch eins. Verdrängung.
Zuerst verdrängte ich meine Linkshändigkeit vollkommen. Als Studentin
dann, sah ich mich als Beidhänderin. An meine Linkshändigkeit konnte ich mich da schon nicht mehr erinnern. Doch fiel mir immer auf, wie viel ich mit links hantierte. Das ließ sich nicht verleugnen. Auch die Computermaus konnte ich besser mit links bedienen. Zwar benutzte ich sie die ersten Jahre aus der Konvention heraus mit rechts, vor allem, da ich mir die Maus immer mit Rechtshändern teilen musste. Doch meine erste eigene Maus wurde direkt von mir auf links programmiert. Gewundert habe ich mich darüber nicht, denn ich war ja meiner Meinung nach Beidhänderin. Dass der Maus eine Schlüsselrolle bei der Wiederentdeckung meiner Linkshändigkeit zukommen sollte, wusste ich damals noch nicht.
Mit der Hand geschrieben habe ich nach der Schulzeit kaum noch. Nur noch kleinere Notizen. Da ich mit zehn Fingern tippen kann, hab ich alle meine Uniprotokolle und später alles für die Arbeit auf dem Rechner getippt. Auch mein Tagebuch.
Doch in meinem Beruf kann man das Handschriftliche nicht umgehen. Und so habe ich letztendlich dann doch noch mit links schreiben gelernt. Doch dafür musste ich mir erstmal eingestehen, dass ich nicht Beidhänderin, sondern Linkshänderin bin.
Mittlerweile schreibe ich nur noch mit links. Es ist schön, offen meine
Linkshändigkeit leben zu dürfen. Aber meiner Mutter ist es ein Dorn im Auge. Weiterhin.

Dienstag, 29. November 2011

Retrospektive

Etwas, dass wahrscheinlich bei jedem vorkommt, der seine Händigkeit zurück schult, sind plötzliche Erinnerungen an Gefühle, Situation und Umstände aus der Zeit der Umschulung auf rechts. Solche Retrospektiven kommen mehr oder weniger häufig vor und begleiten meine Rückschulung permanent. Die Erinnerungen, die ich an meine Kindheit habe, erscheinen dadurch in einem ganz anderen Licht. Viele Dinge, die passiert sind, bekommen plötzlich eine neue Bedeutung. Dinge, die zu mir gesagt wurden, Dinge, die ich getan habe, Gefühle und Erlebnisse, die ich hatte. Vieles davon hatte mich verwirrt, einiges verängstigt und anderes gedemütigt. Doch durch die, wenn auch nur fragmentarische Rückkehr meiner Erinnerungen, weiß ich wieder, warum ich viele Dinge nie konnte oder mich häufig ungeschickt angestellt habe. Jetzt weiß ich auch wieder, warum ich so oft heimlich mit links schreiben geübt habe. Jetzt weiß ich wieder, warum ich immer traurig wurde, wenn ich andere mit links schreiben gesehen habe.

Oft freue ich mich, dass die Erinnerung, wenn auch oft nur als Fetzen zu mir kommt. Jeder Fetzen ist ein Stein eines Mosaiks, dass ich nun Stein um Stein langsam zusammensetzen kann. Ein großer Teil fehlt immer noch, doch es ist schon sehr viel zu erkennen. Vor allem, dass mit sanftem aber steten Druck gegen meine Linkshändigkeit und damit gegen meine Persönlichkeit, gegen mich gearbeitet wurde. Ich möchte mich erinnern. Ich möchte das Gesamtbild meiner Vergangenheit erkennen. Aber die Erinnerungsfetzen machen mich auch traurig. Ich trauere mit dem Kind, dass ich einmal war und dass damals in eine große Verwirrung gestürzt wurde. Es musste lernen, gegen die eigene Natur zu arbeiten. Es lernte dabei auch, sich selbst nicht mehr vertrauen zu können. Doch mit jedem Mosaikstein kommt ein Teil des Selbstvertrauens zurück. Und ich kann zu mir sagen: "Siehst du! Du liegst DOCH richtig!"

Dienstag, 22. November 2011

Eine neue Identität

Jetzt, wo ich quasi den körperlichen Teil meiner Rückschulung bewältigt habe, merke ich, dass der Kopf noch nach kommen muss. In der Rückschulung muss man erstmal in seiner neuen Identität ankommen. Klar, es ist die eigene. Doch sie ist immer noch neu und voller Überraschungen. Denn viele Jahre, oder wie in meinem Fall Jahrzehnte, war sie vor mir versteckt.

Meiner Meinung nach ist für die Rückschulung am wichtigsten, dass man eine innere Sicherheit zu dem Thema Linkshändigkeit gewinnt. Das heißt, sich selbst vertrauen, dass man wirklich Linkshänder ist, obwohl die Umwelt einen seit Jahren oder Jahrzehnten anders sieht. Und es heißt auch, diese Tatsache zu akzeptieren. Dazu gehören auch die dummen Sprüche, die man sich dann gelegentlich über Linkshänder anhören darf . Es ist auch ein komisches Gefühl, plötzlich von der Umwelt anders wahrgenommen zu werden. Als Minderheit. Eventuell sogar bemitleidet. Die Arme MUSS mit links schreiben. Innerlich freu ich mich ja, denn ich DARF endlich mit links schreiben.

Trotzdem. Es ändert sich die Sicht auf die Welt, da ich Dinge plötzlich anders wahrnehme, als ich sie mit rechts hantierend wahrgenommen habe. Egal was ich anpacke, ich fange von der anderen Seite an. Sonst funktioniert es nicht. Dadurch wirkt die Umwelt in meine Augen oft anders. Ebenso hat sich meine Sicht auf mich selbst geändert. Ich lerne gerade, mich als Linkshänderin zu sehen. Erst jetzt, wo ich selbstverständlich mit links hantiere, fällt mir bewusst auf, dass ich alles anders herum mache, als die meisten anderen Menschen. Manchmal frage ich mich, ob mich meine Umwelt bewusst so wahrnimmt, oder ob den meisten Menschen Linkshändigkeit, mit Ausnahme beim Schreiben nicht auffällt. Vieles, was ich schon immer mit links gemacht habe und das ist in meinem Fall gar nicht so wenig, wird mir jetzt bewusster. Früher empfand ich einige Dinge nur als skurril, denn nicht alle Handlungen sind einem ja als Händigkeits abhängig bewusst. Vieles hat ja auf den ersten und auch den zweiten Blick nichts mit dem Handgebrauch zu tun. Jetzt wird mir klar, dass ich nie skurril war, sondern ganz normal für eine Linkshänderin. Es ist interessant so etwas festzustellen und zu merken, wie ein Bild, dass man jahrelang von sich selbst hatte und dass immer schräg hing, ohne dass man es selbst merke, plötzlich gerade gerückt wird und dadurch einen ganz anderen Ausdruck bekommt. Mit diesem Ausdruck freunde ich mich jeden Tag aufs Neue an und es wird noch einige Zeit brauchen, bis mir wirklich klar sein wird, dass es mein Bild ist und mein Ausdruck. Dass ich das bin.

Sonntag, 20. November 2011

Der linke Fuß

In der Vergangenheit hätte es immer wieder Anlass für mich gegeben, über meine Händigkeit nachzudenken. Immer dann, wenn wieder offensichtlich wurde, dass ich Linksfüßer bin. Mich hatte das aber nach dem ersten Mal, als ich es im Sportunterricht beim Fußballspielen feststellte, nicht weiter gewundert. Damals war ich 13 Jahre alt. Ich freute mich diebisch, dass ich auch mal wie die anderen Linkshänder sein durfte. Auch beim Gebrauch der Startblöcke für den Sprint war ich eine von den beiden in der Klasse, die den rechten Fuß vorne hatten. Alle fanden das komisch, weil sie mich als Rechtshänderin sahen. Ich nicht, mir war damals noch klar, dass ich Linkshänderin bin.

Später, als ich diese Tatsache verdrängt hatte, war jedoch meine Linksfüßigkeit etwas ganz normales für mich. Andere wunderten sich jedoch immer wieder, dass ich auf dem Snowboard oder auf dem Skateboard den rechten Fuß vorne hatte.

Füßigkeit und Händigkeit hängen nicht zwangsläufig miteinander zusammen. Man findet dazu so viele verschiedene Meinungen, wie man Personen befragt. Offizielle Studien, die man zu dem Thema findet, sind meist einige Jahrzehnte alt und ich bezweifle, dass in ihnen eine umgeschulte Händigkeit berücksichtigt wurde und somit auf eine tatsächlicher Korrelation zwischen Händigkeit und Füßigkeit eingegangen werden konnte. Eigenen Beobachtungen zu Folge gibt es einen Anteil von ca. 20% Linksfüßern. Ein Teil davon verhält sich auf den ersten Blick rechtshändig. Alle von mir beobachteten Linkshänder hingegen sind generell Linksfüßer, einzelne davon spielen aber beim Fußball mir rechts. Wahrscheinlich haben sie sich dieses Bewegungsmuster in der Kindheit von der rechtsfüßigen Mehrheit abgeschaut.
Meine Hypothese dazu ist, dass es eine 80:20 Verteilung gibt. Das ist grundsätzlich ein häufiges Verteilungsmuster. Dementsprechend postuliere ich, dass es 20% Linksfüßer gibt, von denen 20% Rechtshänder sind und vice versa.

Woran erkennt man einen Linksfüßer? Hierzu findet man leider bei einigen Autoren eindeutig falsche Angaben. Nach meiner Erfahrung passende Angaben dazu hat J.B. Sattler hat in ihrem Buch "Der Knoten im Gehirn" gemacht.
Der Linksfüßer hat das rechte Bein als Standbein und das linke als Aktionsbein. Die Aktion kann sein Schwung zu holen, einen Ball zu schießen, auf eine Stufe zu steigen oder einfach den ersten Schritt zu tun. Das führt dazu, dass der Linksfüßer beim Startblock, beim Skateboard/Snowboard/Surfbrett den rechten Fuß vorne hat, um mit den linken Fuß zu lenken bzw. sich abzustoßen und Schwung zu holen. Es wird mit dem rechten Fuß abgesprungen, um mit dem linken Fuß möglichst weit nach vorne/oben zu schwingen. Bei kreisförmigen Bewegungen, z.B. beim Schlittschuhlaufen auf einer Eisbahn, bevorzugt der Linksfüßer die Bewegung im Uhrzeigersinn. Ob die bevorzugte Drehrichtung am Platz, z.B. bei Pirouetten auch im Zusammenhang mit der Füßigkeit steht, weiß ich nicht. Hier spielen meiner Meinung nach noch mehr Faktoren eine Rolle, wie die Bevorzugung eines Auges und die Fähigkeit auf einem bestimmten Bein das Gleichgewicht zu halten. Bei mir ist dafür das Standbein prädestiniert, also drehe ich bei Pirouetten rechts herum.

Freitag, 18. November 2011

Das Aha-Erlebnis

Darüber, welche Hand man für welche Tätigkeiten benutzt, macht man sich gewöhnlich keine Gedanken. Das wäre auch ineffektiv, da ja jede Handlung geplant werden müsste. Dementsprechend geschieht alles aus einer gewissen Routine heraus. Bei mir hieß diese Routine mir rechts schreiben und auch vieles andere machen, aber mit links Kartoffeln schälen, die Maus, die Bohrmaschine, den Schraubenzieher benutzen und ebenfalls vieles andere mehr. So dachte ich, dass ich beidhändig bin und verschwendete keinen weiteren Gedanken an dieses Thema . Klappte ja ganz gut, außer dass ich lieber auf dem Rechner schrieb, als mit der Hand. Das war mir schon immer zu anstrengend...
Das änderte sich jedoch, als ich Ende letzten Jahres an einem fremden Rechner saß und sofort merkte, dass die Maus links war. Meine Freude darüber teilte ich sofort dem Besitzer des Rechners mit. "Super, du hast deine Maus ja auch links!" "Na klar, ich bin Linkshänder!" Ich fühlte mich wie vom Blitz getroffen. Den ganzen Abend hallte diese Aussage in mir nach. "Ich bin Linkshänder!" Ich auch! Dachte ich sogleich. Ich auch? Fragte ich mich danach. Merkwürdig eigentlich. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis fanden sich einige Linkshänder und ich hatte mir in der Vergangenheit bereits öfters die Maus mit einem Linkshänder geteilt. Doch diesmal war es anders. Mit meiner linken Hand auf der Maus hörte ich diese Worte. Dadurch wurde eine Verbindung in meinem Gehirn geknüpft, die mein Leben plötzlich auf den Kopf stellte. Oder besser gesagt von rechts auf links krempelte. War ich wirklich beidhändig? War da nicht mal etwas in meiner Kindheit? Ich war mir nicht sicher, aber der Satz, den ich an dem einen Tag gehört hatte traf mich mitten ins Herz und ging einfach nicht mehr aus meinem Kopf. Ich bin Linkshänder. Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen oder lieber laut losheulen wollte. Zumindest verwirrte es mich gehörig, obwohl, so paradox, wie das klingt, auch mit einem Schlag eine große Klarheit da war. Ich wusste, das es stimmt. Ich war Linkshänderin, doch was hatte das nun für eine Bedeutung für mich, für mein Leben? Ja, für mein Handeln, im wahrsten Sinne des Wortes? Da stand ich jetzt plötzlich in einer neuen Lebenssituation. Ganz klar und doch verwirrt. Froh und doch bekümmert. Voller Antworten und voll neuer Fragen. 

"I´ve got one hand in my pocket and the other one is giving a high five!"(Alanis Morissette)

Montag, 14. November 2011

Rückgeschult!

Dieses Hochgefühl ist unglaublich. Du kennst das bestimmt auch, wenn du dich ganz bei dir fühlst und alles im Fluss ist. Wenn du merkst, ja, das bin ich! Ein modernes Wort dafür ist authentisch sein. Eigentlich mag ich es nicht, denn es hat sich in den letzten Jahren sehr abgegriffen. Doch es trifft es immer noch auf den Punkt. Was es heißt bei sich zu sein, fällt einem meist dann besonders auf, wenn man mal eine Zeit neben sich gestanden hat, vielleicht ohne es zu merken und dann wieder zu sich kommt. Das kennt eigentlich jeder. Wenn du damit noch nichts anfangen kannst, dann stell dir einfach vor, du warst lange nicht zu Hause und kommst dann heim. Alles ist bekannt, du hast deine Sachen um dich, du fühlst dich einfach wohl. Das kannst du bestimmt nachvollziehen.
Dieses Gefühl habe ich immer, wenn ich etwas mit links mache, was ich früher mit rechts machen musste. Besonders beim Schreiben geht es mir so. Auch wenn du sagen würdest, dass meine Schrift furchtbar ist und wenn mir noch oft die Muskeln schmerzen. Links bin ich zu Hause. Endlich.

Es war ein langer Weg für mich nach Hause. Denn vor weit mehr als dreißig Jahren wurde ich in vielen Dingen umgeschult, so dass ich als Teenager irgendwann anfing, mich als Beidhänder zu sehen. Vor fast einem dreiviertel Jahr habe ich angefangen mich beim Schreiben auf die linke Hand rück zu schulen. Diese Rückschulung betrachte ich mittlerweile als erfolgreich vollbracht. Meine Schrift ist leserlich, sieht erwachsen und individuell aus und sie fließt mir schnell und locker aus der Hand. Vor allem aber liebe ich es mit links zu schreiben. Ich könnte ganze Bücher füllen. Viele andere Dinge des Alltags habe ich entweder seit eh und je mit links erledigt oder bin einfach von einem Tag auf den anderen auf links umgestiegen. Das fiel mir sehr leicht. Meistens war es sogar so, dass ich es mit links auf Anhieb besser konnte, als mit rechts. In solchen Fällen wundere ich mich immer noch, dass ich als Mensch, der sich immer als Beidhänder gesehen hat, nicht schon früher mal auf die Idee gekommen bin, die linke Hand für die eine oder andere Tätigkeit zu benutzen. Der erzieherische und kulturelle Druck ist scheinbar sehr groß. Nicht zu unterschätzen ist auch die Macht der Gewohnheit. Auch die hat sich in den letzten Monaten bei mir geändert. Ganz von allein. Für mich ist es jetzt Gewohnheit, alles mit links zu erledigen.

Ich bin Rückgeschult!