Ich bin Linkshänderin. Mein Mutter sah das leider anders. Auch heute
noch passt ihr das nicht. Nur sie weiß, warum und lässt es mich
auch nicht wissen. Meine Kindheit war geprägt von Dingen, die ich
falsch machte oder bei denen ich mich ungeschickt anstellte. Das fing
an mit dem Handgeben. Viele kennen das. Kleine Kinder wechseln oft
die Hand und probieren sich aus. Dabei geben sie auch manchmal die
linke und somit nach gesellschaftlicher Konvention falsche Hand. Fast
jedes Kind kennt den Spruch "gib das feine Händchen". Als
linkshändiges Kind hört man ihn jedoch besonders häufig, denn die
Hand, die man spontan nach etwas ausstreckt ist nun mal die linke.
Ich verstand nicht, warum das so sein muss. Warum durfte ich nicht
meine linke Hand zur Begrüßung geben? Warum ist die rechte Hand
fein und die linke nicht? Als Erklärung erhielt ich das bei meiner
Mutter allgegenwärtige "das macht man so". Ich bin nicht
man. Diese Auflehnung begann bei mir nicht erst in der Pubertät.
Schon früh, im Kindergartenalter, habe ich mir nichts sehnlicher
gewünscht, als endlich erwachsen zu werden. Ich wollte die Dinge so
angehen, wie ich es für richtig hielt. Warum in den Augen meiner
Mutter immer alles falsch war, was ich machte, konnte ich nicht
verstehen. Ich wusste nichts über Links- und Rechtshänder, auch
wenn ich öfters hörte, dass ich keine Linkshänderin sei. Eine
Fehlinformation. Der Löffel gehört in die rechte Hand, du bist doch
kein Linkshänder. Die Gabel gehört in die rechte Hand, du bist doch
kein Linkshänder. So wurde mir tagtäglich das Gehirn gewaschen und
absolut darauf bestanden, dass alle Besteckteile mit rechts benutzt
wurden. Auch das Messer beim Essen mit Messer und Gabel. Dabei hatte
ich mich gerade gefreut. Da die rechte Hand ja schon mit der Gabel
besetzt war, konnte das Messer ja eigentlich nur in die linke. Doch
falsch gedacht. Aber hier machte ich es mir bald zunutze. Ich aß
einfach immer mit Messer und Gabel. Auch wenn das Messer ungenutzt in
der rechten Hand lag oder sogar am Tellerrand. Die Gabel war links.
Ein kleiner Erfolg in einer Welt, in der ich nicht ich sein durfte.
Genau wie die Gelegenheiten, zu denen ich mein feines Händchen geben
durfte. Nämlich immer dann, wenn ich eine Tante begrüßte, die
gerade ihre Rechte Hand im Kuchenteig oder Ähnlichem vergraben
hatte. Dann wurde mir halt die Linke entgegengestreckt. Die nahm ich
natürlich auch mit links und freute mich diebisch. Wieder einmal der
mütterlichen Konvention entkommen.
Richtig schlimm wurde es dann, als ich scharfe Messer benutzen durfte und
sollte. Das Gemüse widersetze sich mir. Es ging einfach nicht. Dafür
gab es natürlich Schelte. "Nichts kannst du richtig machen. Da
kann ich es besser gleich selber machen!"
Genauso viel Unverständnis erntete ich, als es in der Schule zu so
furchtbaren Tätigkeiten, wie dem Häkeln, dem Stricken und dem
Sticken kam. Mein Topflappen war mit Abstand der Hässlichste. Sogar
schlimmer als die Modelle der Jungs. Dabei gestaltete sich das Häkeln
zuerst als prima Sache. Ich hatte den linken Arm gebrochen. Dadurch
war ich im Halten des Häkelgutes und der Fadenführung
eingeschränkt. Die Lehrerin und auch meine Mutter erlaubten mir,
mich zu behelfen, indem ich mit links häkelte, da ich die Nadel mit
der eingegipsten Hand halten konnte! Das lief richtig gut. Dann kam
der Gips ab und beide bestanden darauf, dass ich nun wieder mit
rechts häkelte. Kann man das verstehen? Warum ich mich nicht
durchsetzen konnte, weiß ich nicht. Grundsätzlich wollte ich ja
immer alles richtig machen.
Und dann gab es ja auch noch die Geschichten von meiner Tante. Meine
Tante ist, genau wie ich, Linkshänderin. Sie wurde allerdings nicht
von ihren Eltern unter Druck gesetzt, obwohl Linkshändigkeit damals
in den Dreißigern als Makel galt. Dafür litt sie in der Schule. Bei
jedem Versuch mit links zu schreiben, bekam sie Schläge bis die
Finger bluteten. Ihre Schilderungen waren sehr plakativ. Jedes Mal,
wenn ich vor ihren Augen einen Stift in die Hand nahm, erzählte sie
eine ihrer Gruselgeschichten. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich
damals den Stift in die Linke nahm. Doch warum sonst, sollte sie sich
ständig zu diesen Schilderungen animiert gesehen haben. Als kleines
Kind überlegte ich mir damals genau, ob ich es wirklich darauf
anlegen wollte. Ob ich deshalb mit rechts anfing zu malen weiß ich
nicht. Dass ich mit rechts anfing zu schreiben hatte sicherlich damit
etwas zu tun.
So gerne würde ich wissen, warum ich mit rechts malte. Doch da halten
sich alle bedeckt. Besonders meine Mutter. Mein Vater war damals sehr
wenig zu Hause. Er kann sich an nichts erinnern und das glaube ich
ihm tatsächlich. Doch meine Mutter windet sich auf merkwürdige Art
und Weise. Aber sie gibt nichts preis. So bleiben mir nur
Spekulationen. Vielleicht war das Malen mit links auch ein Grund für
einen meiner vielen Aufenthalte hinter der verschlossenen Kellertür.
Dort musste ich oft genug hin, wenn ich nicht essen wollte oder meine
Eltern wegen anderer Dinge erzieherisch am Ende waren. Oder war der
Bruch meines linken Arms mit drei Jahren der Auslöser dafür, dass
ich mit rechts malte, da ich es ja wochenlang nicht mit links konnte?
Möglicherweise waren auch die Kindergärtnerinnen daran beteiligt.
Anfang der Siebziger schulten sie Linkshänder noch häufig im
Kindergarten um, damit man es in der Schule leichter hätte. So war
das Ergebnis: mit links durfte ich nicht, mit rechts konnte ich oft
nicht.
Das Schreiben war in der Grundschule meine größter Herausforderung. Es
hat mich wirklich angestrengt es zu lernen und meine Schrift stand
ständig in der Kritik meiner Eltern und meiner Lehrerin. Auch wenn
mein Vater im Nachhinein meint, dass ich sofort mit rechts ganz
leicht drauflos geschrieben hätte. Er bekam ja nicht mit, wie meine
Mutter mich täglich mit den Schreiblernübungen triezte. Ich wollte
nicht schreiben üben. Das war für mich eine Qual. Ansonsten war ich
eine Musterschülerin und Klassenbeste. Doch schreiben ging mir nicht
von der Hand und ich hatte keine Lust es zu üben, obwohl ich es
gerne können wollte. Schon der Gedanke an eine Reihe Spazierstöcke
mit rotem Wachsmalstift im Schreiblernheft, trieb mir den Schweiß
auf die Stirn. Aber meine Mutter insistierte. Und sie war gnadenlos.
Wenn die Stöckchen nicht schön genug waren, musste ich noch eine
Seite füllen. Übung macht den Meister! Es war, als hätte ich eine
Blockade im dem Kopf, der sonst immer so wunderbar funktionierte. Und
es sollte noch schlimmer kommen. Nachdem die Phase mit den
Wachsmalstiften abgeschlossen war, kam irgendwann das neue Objekt der
Qual. Der Füller. Die Federn waren immer zu weich. Ständig verbog
ich sie, so fest drückte ich auf. Klar gab das Ärger und viele neue
Füller.
Dann kam der Zeitpunkt, zu dem ich das erste Mal in meinem Leben einen
Menschen mit links schreiben sah. Das hat mich zutiefst berührt. Zu
Hause musste ich das sofort ausprobieren. Es fühlte sich
fantastisch an. Leider wurde ich erwischt. Das fühlte sich dann
nicht mehr so gut an. Es gab Hohn, Spott, Unverständnis und Schelte.
Oft hab ich geübt, oft wurde ich erwischt. Oft gab es Ärger. Meine
Mutter schaute mir ja auch ständig bei den Hausaufgaben über die
Schulter. Und wenn ich mal allein war und meine Hausaufgaben mit
links schrieb, sah sie es sofort. Die Schrift war ja anders.
Irgendwann bildete ich mir dann ein, dass man mit links nur in der
Hakenhaltung schreiben darf, weil sonst die Schrift anders aussieht,
als bei Rechtshändern. Keine Ahnung wie ich auf diesen Gedanken kam.
Die Hakenhaltung bekam ich jedenfalls nicht hin. Statt dessen schrieb
ich dann aus Spaß mit rechts und links gleichzeitig. Mit rechts
richtig herum und mit links in Spiegelschrift. Das war ein Spaß. Vor
allem, weil meine Klassenkameradinnen das nicht konnten. Dafür
konnten sie ja alle ganz toll stricken und häkeln. Endlich konnte
ich auch mal was mit meinen Händen besser als sie.
Auf dem Gymnasium gab ich dann auf. Mir fehlte mit links einfach die
Übung und ich war zu langsam. Also schrieb ich fast nur noch mir
rechts. Nur ab und an schrieb ich noch zu Hause für mich alleine,
wenn meine Mutter in der Küche oder im Garten beschäftigt war, mit
links. Ich machte mir auch immer weniger Gedanken darüber, was ich
wie machte. Es war mittlerweile ja eingeübt. Auch wenn ich in vielen
Dingen noch ungeschickt war und immer sein würde. Aber man muss ja
nicht alles können, sagte ich mir.
Ein Highlight während der Schulzeit war der Sportunterricht, wenn man
mal vom Werfen absieht. Das machte ich ja mit rechts, da mein Vater
es mir so beigebracht hatte. Außer beim Basketball. Da warf ich die
meisten Körbe mit links. Zudem bin ich wie die meisten Linkshänder
auch Linksfüßer. Und das durfte ich im Sportunterricht auch
bleiben. Niemand, der etwas daran kritisierte. Endlich durfte ich mal
sein, wie alle anderen Linkshänder auch! Das stürzte mich jedoch
gleichzeitig in eine emotionale Krise, die durch meine Pubertät noch
verschlimmert wurde. Ich konnte nicht mehr damit umgehen Linkshänder
zu sein und es nicht sein zu dürfen. Ich verstand es nicht und es
tat mir nicht gut. Also blieb mir nur noch eins. Verdrängung.
Zuerst verdrängte ich meine Linkshändigkeit vollkommen. Als Studentin
dann, sah ich mich als Beidhänderin. An meine Linkshändigkeit
konnte ich mich da schon nicht mehr erinnern. Doch fiel mir immer
auf, wie viel ich mit links hantierte. Das ließ sich nicht
verleugnen. Auch die Computermaus konnte ich besser mit links
bedienen. Zwar benutzte ich sie die ersten Jahre aus der Konvention
heraus mit rechts, vor allem, da ich mir die Maus immer mit
Rechtshändern teilen musste. Doch meine erste eigene Maus wurde
direkt von mir auf links programmiert. Gewundert habe ich mich
darüber nicht, denn ich war ja meiner Meinung nach Beidhänderin.
Dass der Maus eine Schlüsselrolle bei der Wiederentdeckung meiner
Linkshändigkeit zukommen sollte, wusste ich damals noch nicht.
Mit der Hand geschrieben habe ich nach der Schulzeit kaum noch. Nur noch
kleinere Notizen. Da ich mit zehn Fingern tippen kann, hab ich alle
meine Uniprotokolle und später alles für die Arbeit auf dem Rechner
getippt. Auch mein Tagebuch.
Doch in meinem Beruf kann man das Handschriftliche nicht umgehen. Und so habe ich letztendlich dann doch noch mit links schreiben gelernt. Doch dafür musste ich mir erstmal eingestehen, dass ich nicht Beidhänderin, sondern Linkshänderin bin.
Mittlerweile schreibe ich nur noch mit links. Es ist schön, offen meine
Linkshändigkeit leben zu dürfen. Aber meiner Mutter ist es ein Dorn
im Auge. Weiterhin.